Donnerstag, 27. Dezember 2012

Kapitel 2 (18)

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Der Wunsch sich zusammenzuschließen ist nun wirklich keine Erfindung der Neuzeit. Er gehört zu einer mustergültigen Strategie des Lebens, das sich zu Kolonien von Bakterien, zu Insektenstaaten und Rudeln organisiert. Wer als Kind nicht die Erfahrung gemacht hat, dass er einer widerwärtigen kleinen Ziege oder einem Bastard von einem Raufbold aus der Nachbarschaft mit dem Papa oder dem großen Bruder drohen konnte, dem fehlt das Gespür für die Tragweite familiärer Schutzmacht.
Aber der schützende Familienkreis spielt im Leben vieler Menschen längst nicht mehr die entscheidende Rolle. Er ist selbst schutzbedürftig – so sieht es jedenfalls das Grundgesetz vor. Und wenn ich die Bemühungen der Politiker recht verstehe, dann sollen Väter und insbesondere Mütter künftig noch mehr von der Verantwortung für ihre Kinder entlastet werden, damit sie ihren Platz im Gestell behaupten können.
In der Obhut an-gestellter Kinderpfleger und -pflegerinnen, Kindergärtner und -gärtnerinnen, Lehrer und Lehrerinnen wachsen diese dann zu guten Angestellten heran, manche sehen hier den Beweis für die „guten Seiten“ – nämlich die „soziale Sicherheit“ des untergegangenen „realen Sozialismus“. Den Begriff „unternehmerisches Risiko“ gab es dort nicht. Dass die zu perfekten Angestellten erzogenen Kinder eines Tages in ihren Eltern und Großeltern noch viel mehr sehen, als lästige Kostgänger der Kranken- und Rentenversicherungen, für die jeden Monat fast die Hälfte vom Einkommen eines An- Gestellten abgezogen wird - darauf würde ich heute nicht wetten. Und die immer lauter und unverfrorener geführte Diskussion über „Sterbehilfe“ ist eine unheimliche Begleitmusik zur Litanei derer, die uns mit dem Versprechen, uns die Sorgen (i.e. die Verantwortung) abzunehmen, das Geld abnehmen – und zum Schluss das Leben[1].
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[1] Erich Fried „Die Abnehmer“, in „Kanon der deutschen Literatur - Gedichte“ Bd.7, Frankfurt, Suhrkamp 2005


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