Freitag, 6. Dezember 2013

Kapitel 5 (2)

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Foto: Ludwig Feuerbach, Philosoph und Anthropologe, mit dessen Texten sich der junge Marx besonders intensiv auseinandersetzte.
Ludwig Feuerbach„Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme - ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens -  das von der Praxis isoliert ist - ist eine rein scholastische Frage.“ und „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt darauf an, sie zu verändern!“ – das sind zwei der berühmten Marxschen „Feuerbach-Thesen1. Mit ihnen wollte Marx die Ansichten „vom Kopf auf die Füße stellen“. Schon in jungen Jahren gelang ihm mit seiner Analyse wirtschaftlicher Strukturen und menschlicher Abhängigkeiten in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ ein großer Wurf. Tatsächlich nutzte er das wissenschaftliche Denken seiner Zeit soweit es ihm möglich war, und das heißt, dass er nicht über die Modelle der klassischen Mechanik hinauskam und weder von Quantenphysik noch Relativitätstheorie etwas ahnen konnte – ebenso wenig von Genetik oder Psychoanalyse.
Entscheidend für den Umgang mit den Theorien von Marx, Engels und Lenin war und ist, dass sie den Anspruch der „Objektivität“ erhoben, einer von der subjektiven Wahrnehmung unabhängigen Gültigkeit; dass sie die Ökonomie, die gesellschaftlichen Bewegungen und letztlich die Zukunft der Menschheit planbar und vorhersehbar machen wollten wie die Keplerschen Gesetze die Planetenbewegung. Und das Ziel war von schöner Klarheit: die Gesellschaft als „Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist.“2.
Der Weg dorthin sollte über die „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“ führen, der einzelne sollte nur besitzen, wessen er fürs Leben bedurfte, keineswegs aber Fabriken, Grund und Boden, Kapital etc., und vorangehen sollte auf diesem Weg die Arbeiterklasse, die „nichts zu verlieren hatte als ihre Ketten“. An deren Spitze wiederum sollte die Kommunistische Partei stehen, im Alleinbesitz der „wissenschaftlichen Weltanschauung“ und also unfehl- und unbesiegbar.
Die Theorie und die ihr folgenden politischen Richtungen gerieten alsbald ins Dilemma aller Pat(end)lösungen: sie mussten die Menschen mit Gewalt glücklich machen. Wer „Produktionsmittel“ besaß, sah die „wissenschaftliche Begründung“ seiner Enteignung nicht ein und trennte sich ungern freiwillig vom Besitz; diese programmatische Auseinandersetzung mit dem „Klassenfeind“ konnten die Kommunisten nie gänzlich für sich entscheiden. Wo sie es schafften, endeten sie im Desaster: ökonomisch, ökologisch vor allem aber moralisch. Die vorhergegangene Geschichte der Menschheit kennt keine Niedertracht und keine Grausamkeit, keine Folter und keinen Massenmord, den nicht sozialistisch-kommunistische Machthaber wie Lenin, Stalin, Mao und ihre Gefolgsleute, Epigonen und Adepten im Namen der „lichten Zukunft der Menschheit“ und des „sozialistischen Humanismus“ übertroffen hätten. Nur wer sich von romantischen Verklärungen des Sozialismus nicht trennen mag, wird die Verwandtschaften nach Anspruch, Klientel und Methoden übersehen, die selbst den Nationalsozialismus mit seinen Namensvettern verbinden. Aber es gehört immer noch Mut dazu, solchen Verklärungen zu widersprechen. Götz Aly hat das mit seinem beeindruckend recherchierten Werk “Hitlers Volksstaat”3 getan.
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1 Der Name bezieht sich auf Marx' Kritik an Texten von Ludwig Feuerbach 2 Marx/Engels „Kommunistisches Manifest
3 Götz Aly „Hitlers Volksstaat“, Frankfurt am Main, S. Fischer 2005








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