Samstag, 27. Oktober 2012

Kapitel 2 (1)

kosmos_200
Dieses Buch muss fortwährend überarbeitet werden – mit diesem Vorsatz wurde es geschrieben, daran ist nicht zu zweifeln, ebensowenig an seiner fortwirkenden Brisanz im Ganzen. Bücher wie “Affenmärchen – Arbeit frei von Lack und Leder” lassen das ebenso deutlich werden wie die Stellungnahmen von Andreas Zeuch, Niels Pfläging,  und vielen anderen zu dringend notwendigen Veränderungen der gesamten Arbeitsorganisation.
Da der “Kosmos” in einigen grundlegenden Fragen dem Verständnis brennender Konflikte in unserer immer kleiner werdenden Welt dient, da im Zusammenhang mit den Wahlen in den USA, politischen Verwerfungen innerhalb der KPCh, unbeherrschbarer Dynamik der Finanzmärkte in deutschen Medien wenig mehr zu hören ist als das Geräusch der Gebetsmühlen, stelle ich einige Textegratis zur Diskussion. Das Vorwort ist bereits online.


Kapitel 2


Die Erschaffung des An-Gestell-ten
Die „Verwertung“ der Persönlichkeit. Alte und neue Existenzängste. Wie Menschen zu Kugelschreibern werden.
 
Der einzelne Mensch ist ein Nichts. Sieben Milliarden Menschen leben inzwischen auf der Erde. Bilder wie das eines Sandkorns in der Wüste oder eines Tropfens im Ozean sind schnell gezeichnet. Die Erfahrung von Ohnmacht und Bedeutungslosigkeit des Einzelnen ist in unserem Jahrhundert allgegenwärtig, nicht nur in den Massenheeren und -morden, auch in der Arbeitswelt und der bürokratischen Verwaltungsmaschinerie. Der Einzelne erscheint aus der Zeitperspektive ebenso mikrobenhaft: seine Lebensspanne ist winzig - gemessen an der Geschichte des Kosmos, ja selbst der Gattung.
Das Leben hat ein Mittel gegen die zahlenmäßige, „quantitative“ Bedeutungslosigkeit, gegen damit verbundene Ängste, gegen das Gefühl der Ohnmacht: das Individuum kann in einem Metasystem, einem Sozialgebilde aufgehoben sein – z.B. in einer Herde oder in einem Bienenstaat. Die Zugehörigkeit zu einem Metasystem hilft dem Einzelnen, zu erlangen, wessen er bedarf und schützt ihn vor Verlusten. In sozialen Verbänden werden die Möglichkeiten der Individuen nicht einfach addiert, sondern innerhalb eines neuen Organismus vernetzt. Strategien entstehen, die über die individuellen weit hinaus reichen. Sie folgen dennoch nicht beliebigen Mustern, sondern den charakteristischen, genetisch angelegten, die nach innen und außen interagieren. Die Zugehörigkeit zum Sozialgebilde hat ihren Preis: der Einzelne muss mit den Bewegungsmustern des Metasystems zurechtkommen und Rollenzuweisungen hinnehmen - z.B. die eines Angestellten.
Der einzelne Mensch ist alles. Jede Geburt verändert die Welt. Sie ist unentbehrlicher Teil jenes Prozesses, der aus Möglichem Wirkliches werden lässt, und seit die Betrachtung komplexer dynamischer Systeme uns belehrt, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings in der sibirischen Taiga über Beginn und Verlauf eines Hurrikans in Mittelamerika entscheidet, müssen wir die Bewegungen eines Individuums mit anderen Augen sehen. In seiner einzigartigen Erbinformation erscheint zugleich die gesamte Entwicklungsgeschichte eingefaltet und bisweilen gewinnt das Handeln eines einzelnen Menschen überragende Dimension, wenn er in die Rolle z.B. eines Diktators oder Attentäters hineinwächst – oder auch in die eines Künstlers.
Handelnd und sich verändernd gestaltet der Einzelne sich selbst und seine Umgebung. Aus dem „Genotyp“ wächst der „Phänotyp“, dessen eigentümliches Sein das Sein der Welt notwendig mit definiert. Für den Einzelnen spricht nicht die Quantität, sondern die Qualität.
Der Markt vermittelt. Denn der Einzelne muss sich ernähren, wohnen, gesund erhalten. Der Markt bietet ihm, was er nicht selbst schaffen kann und verlangt etwas dafür: Geld, den großen Gleichmacher, das universelle Maß für jeden Gegenstand von der Kartoffel bis zum Kernkraftwerk und jede Leistung vom Schuhe putzen bis zur Herzoperation.

Im Geld verschwindet aber zugleich jede Eigenartes quantifiziert alles. Selbst Beziehungen zwischen Menschen kann es die Eigenart austreiben: es bleiben käufliche Dienste übrig, bei denen egal ist, wer sie nutzt oder erbringt. Anderseits kann der Einzelnen seine Existenz nicht auf Qualitäten aufbauen, die am Markt nicht gefragt sind.
Fortsetzung: Kapitel 2 (2)






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