Sonntag, 24. Februar 2013

Kapitel 3 (7)

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Na klar, werden Sie sagen, so lernt man ja und so funktioniert das Fahrradfahren. Und wenn Artisten eine Menschenpyramide bauen, dann gelingt ihnen das nur, wenn sie in jedem Augenblick auf die Bewegungen der mit ihnen Verbundenen sensibel und ausgleichend reagieren. Das zu wissen heißt aber noch lange nicht, es zu können. Und wenn Sie es einmal können, werden Sie wenig bewusste Wahrnehmung auf den Erhalt des Gleichgewichtes verwenden müssen: Ihr Körpergedächtnis, Teil ihrer inneren Matrix, balanciert automatisch mit. Dank des Körpergedächtnisses verlernen Sie niemals das Fahrradfahren oder Schwimmen. 
Sehen Sie mir nach, wenn diese Einsicht für Sie schon banal ist: Ich möchte nur auf zwei wesentliche Punkte hinweisen, die bei den Überlegungen zum Thema Interaktionen entscheidend sein werden:
  • Bei allen solchen Wechselwirkungen bedeutet Stillstand, dass das System zusammenbricht, und die kritischen Momente für den Übergang eines solchen Systems in einen chaotischen – beim Radfahren und der Leiterbalance unbeherrschbaren – Zustand liegen nahe am Stillstand, also da wo die Bewegungen zu schwach sind, das System im Gleichgewicht zu halten.
  • Die Gestalt und das Funktionieren des Systems lassen sich vom Ziel aus - nämlich dem Erhalt des Gleichgewichtes - bestimmen. Kausale Verknüpfungen des Typs: „wenn A zutrifft, folgt daraus B“ erfassen immer nur einen engen Ausschnitt innerhalb des komplexen Gefüges.
In chaotischen Situationen – wenn der Stillstand droht – wird in sich selbst organisierenden Systemen Destruktion, also Gewalt in unterschiedlichsten Formen, zur Strategie mit dem Ziel der Neuorganisation. Die Selbstzerstörung gehört dazu.
Kommen wir auf Nachbars Katze zurück. Dem Sprung auf die Klinke haben wir bewundernd zugeschaut, ihr Schnurren, wenn sie mit halb geschlossenen Augen am warmen Ofen vor sich hin spann oder sich streicheln ließ, weckte bei uns sympathische Gefühle: wir erleben fast eine Urform des Wohlbehagens. Der „innere“ Zustand der Katze wird nur von hartgesottenen Katzenhassern nicht nachempfunden. Das ist natürlich auch ein Ergebnis Jahrtausende langen Zusammenlebens von Menschen mit Haustieren – dabei haben sich aber keineswegs die Haustiere einseitig der Domestizierung gefügt. Sie haben interagiert und sich „ihren“ Menschen erzogen. Und wer den Umgang von Mensch und Tier beobachtet, wird erstaunen, wie geschickt auch noch der albernste Wellensittich Strategien entwickelt, Aufmerksamkeit und Zuwendung zu gewinnen. Es geht dabei um Interaktionen im vorsprachlichen Bereich – um Signale für Emotionen –, und es waren nicht die schlechtesten Psychotherapeuten, die den Umgang z.B. mit Pferden in die Therapie psychisch labiler Kinder einführten.
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